(© Foto: Martijn M.) Gleiches Recht für alle: Im schwedischen Umweltgesetz (Naturvårdslag) von 1964 wurde das historische Gewohnheitsrecht verbindlich gemacht, wonach jedermann in Schweden freien Zugang zur Natur haben darf, Einheimische wie Urlauber. Diese Freiheit hat Vorrang vor dem Eigentumsrecht. Grundstücksbesitzer dürfen also niemanden daran hindern, sich Zugang zu Feldern, Wiesen, Wäldern und Seen zu verschaffen – vorausgesetzt, er bewegt sich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder auf Skiern. Dagegen ist das Befahren von Grundstücken und Privatwegen nicht erlaubt, wenn nicht die ausdrückliche Erlaubnis ihres Eigentümers vorliegt.
Grundsätzlich: Jedermannsrecht als Geben und Nehmen
Das Jedermannsrecht (auf Schwedisch: Allemannsrätt) räumt aber nicht nur Freiheiten ein, sondern geht auch mit Pflichten einher. Der Zugang zur Natur setzt auch ihren Schutz und Erhalt voraus. Pflanzen, Tiere und natürliche Ressourcen dürfen nicht gestört oder zerstört werden. Genauso wenig ist es erlaubt, sich auf Kosten der Grundstückseigentümer zu bereichern, z.B. in deren Wald Holz zu schlagen, auf deren Fluren zu jagen oder von deren Obstbäumen, Beeten und Feldern zu ernten. Auch das Recht auf Privatsphäre muss respektiert werden: Rund um Wohnhäuser gilt eine so genannte Hausfriedenszone. Die Bewohner dürfen sich durch die Anwesenheit von Fremden nicht gestört fühlen. Umgekehrt dürfen diese aber auch keinen finanziellen Vorteil aus dem Zugangsrecht schlagen, also z.B. Park-, Camping- oder Eintrittsgebühren verlangen. Ausnahmen gelten, wenn besondere Weg- oder Badeeinrichtungen angelegt worden sind.
Was erlaubt das Jedermannsrecht? – Beispiele
Im Alltag leidet das Jedermannsrecht unter seinen vagen Formulierungen. So mancher Rechtsstreit entbrannte auf Grund verschiedener Auslegungen oder Regelungslücken. Deshalb hat Justizrat Bertil Bengtsson für das Schwedische Naturschutzwerk die wichtigsten Grundsätze an konkreten Beispielen veranschaulicht. Er möchte allen, die sich gern in der freien Natur aufhalten, Rechtssicherheit vermitteln. Damit auch Du weißt, was nach dem Jedermannsrecht erlaubt und nicht erlaubt ist, fasse ich die wichtigsten seiner Beispiele zusammen:
Es ist erlaubt, …
- … sich frei auf Grundstücken aufzuhalten, um sich dadurch zu Zugang zu Feldern, Wiesen, Wäldern und Seen zu verschaffen. Dabei ist ein gewisser Abstand zu Haus und Hof des Grundstücksbesitzers einzuhalten, damit dessen Hausfrieden gewahrt bleibt.
- Dabei ist es auch erlaubt, sich Nebengebäuden, privaten Spielplätzen, Wirtschaftsgebäuden, Bootshäusern und Badestellen zu nähern, solange sich der Grundstücksbesitzer dadurch nicht gestört fühlt. Besteht ein Sichtschutz, kann der Abstand verringert werden. Ist das Areal frei einsehbar, sollte ein größerer Abstand eingehalten werden.
- … sich offensichtlich unbewohnten Gebäuden zu nähern, solange dabei kein Schaden an Grund und Boden entsteht.
- … über privaten Grund zu reiten, solange dabei beachtet wird, dass Reiten eher Schaden an Grund und Boden verursachen kann als Gehen, Rad fahren und Ski fahren.
- … an frei zugänglicher Stelle des fremden Grundstücks das Auto zu parken.
- … sich auf privatem Grund aufzuhalten. Gemeint sind Aufenthalte wie eine Rast (auch mit Campingausrüstung), Baden und Sonnenbaden, Spiele u.ä., aber auch das Übernachten im Zelt für die Dauer eines Tages.
- … fremde Wasserflächen mit dem Boot, schwimmend oder im Winter auf dem Eis zu überqueren.
- … wild wachsende Beeren, Blumen, Kräuter und Pilze auf fremdem Grund zu pflücken. Es sei denn, dies verbietet der Naturschutz.
Es ist nicht erlaubt, …
- … sich ohne Einwilligung des Grundstücksbesitzers auf dessen Hof und rund um dessen Haus aufzuhalten sowie dort, wo er sich in seinem Hausfrieden gestört fühlen könnte: Nebengebäude, eingezäunte und eingefriedete Areale, Terrassen, Gärten und Beete.
- … ohne Einwilligung des Besitzers über dessen Land zu gehen (zu Rad fahren, zu Ski fahren), wenn dadurch sein Hausfrieden gestört wird. Gemeint ist vor allem die Fläche um private Spielplätze, Wirtschaftsgebäude, Bootshäuser und Badestellen.
- … sich auf Feldern oder anderen Anpflanzungen aufzuhalten, weil dem Besitzer dadurch Schaden entstehen kann.
- … über fremde Grundstücke zu reiten, wenn dadurch nicht nur dem Grundstücksbesitzer, sondern auch Spaziergängern, Wanderern, Radfahrern und Skifahrern ein Nachteil entstehen kann, z.B. zerstörte Wege und Loipen.
- … mit dem Auto auf Wegen des Grundstücksbesitzers zu fahren. Es sei denn, er hat es ausdrücklich erlaubt.
- … den Wohnwagen oder das Wohnmobil auf privatem Grund abzustellen. Es sei denn, der Besitzer hat es ausdrücklich erlaubt.
- … sich länger als einen Tag auf privatem Grund aufzuhalten, z.B. um zu campieren.
- … sich mit dem Boot auf fremden Wasserflächen aufzuhalten, wenn man dabei die Umgebung stört.
- … zu angeln, wenn man keinen Angelschein hat. Ausnahmen bilden die fünf großen Seen Vänern, Vättern, Mälaren, Hjälmaren und Storsjön.
Jedermannsrecht für Schwedenurlauber
Wenn Du verbindliche Auskünfte benötigst, recherchierst Du am besten in juristischer Fachliteratur zum Thema. Mir geht es vor allem darum, Dir eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie weit das Jedermannsrecht reicht und wo es zugunsten anderer Rechte eingeschränkt bleibt. So ist es zwar einerseits möglich, auf fremdem Grund im Zelt zu übernachten, andererseits aber mit gutem Grund verboten, einen ganzen Campingurlaub so zu verbringen. Wenn Du Dich in Schweden dennoch die meiste Zeit in der freien Natur aufhalten und offizielle Campingplätze meiden möchtest, kannst Du dies guten Gewissens tun, solange Du täglich den Standort wechselst. (Mein Tipp: Halte Ausschau nach öffentlichen Wanderparkplätzen oder Badestellen – hier ist es kein Problem, auch einmal eine Nacht länger mit dem Zelt oder Wohnmobil stehen zu bleiben, es sei denn, dies ist ausdrücklich untersagt.) Ein weiterer Vorteil des Allemannsrätt: Die Selbstversorgung mit Beeren und Pilzen steht Dir frei, solange Du keine Schäden an Flora und Fauna verursachst. Und für Angler sind die Regelungen klar und deutlich: Frische Fische gibt es nur mit einer gültigen „Fiskekort“ der jeweiligen Kommune.
Und zum Schluss ein wichtiger Hinweis: In Nationalparks, Naturschutzgebieten, Biotopen und militärischen Sperrzonen wird das Jedermannsrecht eingeschränkt. Die besonderen Bestimmungen sind öffentlich ausgeschildert, einsehbar bzw. bei den Behörden nachzulesen.